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Bei einer Bahnreise machen die erste und letzte Meile durchschnittlich 50% der Reisezeit aus

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Wie gelingt die nahtlose Verbindung von Sharing-Angeboten und ÖPNV? Eveline Libiszewski von den SBB erklärt, warum die erste und letzte Meile entscheidend für eine nachhaltige Mobilität ist – und welche Lösungen wirklich funktionieren.

Eveline Libiszewski in einem grünen Blazer und einer weißen Bluse

Die erste und letzte Meile spielt sowohl in der Logistik als auch im Mobilitätskontext eine entscheidende Rolle: Wer in Lausanne am Place de la Riponne startet und zum Olympischen Museum möchte, läuft etwa zehn Minuten zur Metro, fährt fünf Haltestellen bis zur Station Ouchy-Olympique und geht dann weitere sieben Minuten zu Fuß. Diese Wege vor und nach der Bahnfahrt bilden die erste und letzte Meile.

In der Logistik bezeichnet der Begriff die Strecke vom Lager des Herstellers zum Frachtzentrum und weiter zur Haustür der Kundin oder zum Geschäft in der Innenstadt. Während im Frachtbereich diskutiert wird, wie der Transport auf erster und letzter Meile möglichst CO2-arm und platzsparend erfolgen kann, liegt der Fokus in der Personenmobilität darauf, die Wege für Menschen möglichst bequem zu gestalten.


„Bei einer Bahnreise machen die erste und letzte Meile durchschnittlich 50% der Reisezeit aus. – Dort haben Verbesserungen eine große Wirkung auf die Gesamtreisezeit und somit auch auf die Attraktivität einer kombinierten Reise mit der Bahn“, sagt Eveline Libiszewski von den Schweizerischen Bundesbahnen (SBB). Denn kurze Distanzen und gutes Wetter stellen zwar für viele Menschen ohne Mobilitätseinschränkungen kein Problem dar. Bei Regen, mit schwerem Gepäck oder einem Bänderriss wird ein zehnminütiger Fußweg zum Bahnhof dagegen schnell zur Herausforderung. Also entscheiden sich viele für die Fahrt mit dem Auto. Das gilt besonders in ländlichen Regionen mit geringem Angebot an öffentlichem Personennahverkehr (ÖPNV).


 

Sharing-Angebote in der Schweiz - und bei der SBB

Grafik mit den aktuellen Shared Mobility-Angeboten der schweiz
Sharing in der Schweiz (Quelle: CHACOMO - Swiss Alliance for Collaborative Mobility)

„Wir fördern das generelle physische Angebot und die digitale Integration, um eine attraktive Reisekette von Tür zu Tür zu ermöglichen“, sagt Eveline. Bei der SBB sind im 2Rad-Sharing aktuell ca. 23‘000 Fahrzeuge von elf Anbietern in Umlauf: (E-)Bikes, E-Cargobikes und E-Scooter. Die Systeme und Vorgaben sind je nach Stadt sehr unterschiedlich.

Beim Carsharing arbeitet die SBB mit fünf Partner zusammen, um verschiedene Bedürfnisse abdecken zu können. Zum Beispiel Transporter für Umzüge, One-Way-Fahrten oder längerfristige Mieten um das Prinzip „mehr nutzen statt besitzen“ zu unterstützen.  


Eveline hat ihre berufliche Laufbahn bei der SBB begonnen und ist seither dem Unternehmen treu geblieben. Nach ihrer Lehre im Ausbildungsverbund für den öffentlichen Verkehr, bei der sie verschiedene Abteilungen durchlief, sowie Stationen in Reisezentren, Geschäftskundenbereich und Weiterbildungen kam sie über ein Projekt zum Bereich Erste / Letzte Meile. Seit zwei Jahren leitet sie Projekte und ist Produktverantwortliche für das öffentliche Zweirad-Sharing. „Wir haben Partnerschaften mit Anbietern wie z.B. Publibike, Dott, Voi, Bolt oder Lime im 2-Radsharing. Im Bereich 4-Radsharing arbeiten wir mit Mobility, Enterprise Go, Quickrent, GoMore und 2EM zusammen“, sagt sie.  Ziel ist es, Bahnhöfe zu Verkehrsdrehscheiben zu optimieren und Gemeinden und Städte bei der Umsetzung solcher Konzepte zu unterstützen. „Das ist nicht einfach „nice to have“. Zahlen zeigen, dass zum Bahnhof hin und vom Bahnhof weg die meistgefahrene Strecke beim Zweirad-Sharing ist. Deshalb macht ein Sharing-System fast keinen Sinn, wenn man die Bahnhofsregion nicht integriert“, sagt Eveline.


Die SBB ist mit diesem Ansatz nicht allein: Viele Verkehrsunternehmen setzen zunehmend auf Kooperationen mit Anbietern von Carsharing, Bikesharing oder On-Demand-Diensten, die die Fahrgäste zu den Stationen und vom Bahnhof ans Ziel ihrer Reise bringen. „Auf der ersten und letzten Meile gibt es noch extremes Potenzial. Das hat man früher gar nicht so mitgedacht, aber wenn ich eine halbe Stunde bis zu irgendeinem Bahnhof brauche und es gibt keine attraktive Verbindung dorthin, dann steige ich halt einfach wieder ins Auto. Deshalb sagen wir: je mehr kombiniert gereist wird, umso mehr wird schlussendlich auch ÖV und somit nachhaltiger gefahren“, erklärt Eveline die Motivation der Verkehrsunternehmen.

Bei der SBB arbeitet sie deshalb gemeinsam mit den Städten und Kommunen daran, das öffentliche Sharing generell auszubauen und an die Bahnhöfe zu bringen. Physisch wie auch digital.


Ich sehe viel Potenzial in der digitalen Integration, also dass man möglichst einfach ein Ticket für die ganze Reisekette kaufen kann und sich nicht zehnmal registrieren muss.

Eveline Libiszewski, Projektleiterin Bereich Erste / Letzte Meile bei SBB CFF FFS


Eveline ist überzeugt: Je größer das Sharing-Angebot ist und je einfacher die Fahrgäste es buchen können, desto attraktiver wird es – und desto eher denken Menschen über einen Umstieg nach. „Die Zahl der Autos im Privatbesitz lässt sich reduzieren. In der Schweiz sprechen wir dabei schon nur von Zweit und Drittfahrzeugen.“ Wenn man diese durch Sharing reduzieren könne, so dass pro Haushalt nur noch ein PKW vorhanden sei, sei schon viel erreicht.


Status quo und Herausforderungen bei der SBB

Das Zielbild beim 2-Radsharing besteht darin, dass wir überall, wo es ein öffentliches Angebot gibt, dies an den Bahnhöfen integrieren werden. Dafür setzen wir Sharing Zonen um. Diese bestehen aus einer Bodenmarkierung und einer Stele mit den vorhandenen Anbietern darauf – so ist die Fläche für die Fahrzeuge klar gekennzeichnet und schafft Ordnung. Bis jetzt haben wir zehn Sharing Zonen an acht Standorten – nach Erfahrungswerten von diesen werden weitere ausgerollt. Die digitale Integration muss ebenfalls noch aufgebaut werden - uns wird also noch nicht langweilig “, so Eveline schmunzelnd.


Wir arbeiten in einem Projekt in der Ostschweiz mit der Uni St. Gallen, dem Anbieter Dott, Regio, der Stadt St.Gallen und dem Verbund zusammen, wo wir das physische Angebot in den verschiedenen Raumtypen etabliert haben. Wir haben z.B. eine Sharing Zone mit digitalen Kombiangeboten in einer Gemeinde gemacht, die kein ÖV-Angebot hat. Wenn man ein ÖV-Abonnement vom Ostwind besitzt, kann man zwischen drei Kombiangeboten für das Sharing auswählen: vergünstigtes Free Floating, ein vergünstigtes Einzelticket und keine Freischaltgebühr und ein 50 % Ticket, bei dem man sieben Franken für einen Monat für das Sharing bezahlte – ohne Freischaltgebühr. Die Resonanz war sehr, sehr positiv.

Eveline Libiszewski, Projektleiterin Bereich Erste / Letzte Meile bei SBB CFF FFS


Die Erfahrungen aus dem Projekt in der Ostschweiz zeigen, wie Sharing-Angebote gezielt auf regionale Bedürfnisse abgestimmt werden können. „Wir haben untersucht, welches Mobilitätsbedürfnis in dieser Region besteht und welche Angebote tatsächlich funktionieren“, berichtet Eveline. Besonders in ländlichen Gebieten können zusätzliche Fahrten, etwa in der Nacht, das Auto ersetzen, wenn es keine Alternativen wie den ÖPNV gibt.


Eveline plädiert dafür, dass Städte nicht isoliert agieren, sondern voneinander lernen, um bestehende Systeme besser zu integrieren: „Man hat inzwischen aus anderen Städten die Erfahrung, dass man auch mehrere Anbieter in ein System integrieren kann.“ Dabei seien klar strukturierte Sharing Zonen an den Bahnhöfen – mit Bodenmarkierungen und Stelen – entscheidend, um eine geordnete Integration und bessere Sichtbarkeit zu gewährleisten. Ebenso wichtig sei die räumliche Priorisierung, wie Eveline erklärt: „Das 2-Radsharing muss wirklich möglichst nahe an den Gleisen sein, sonst wird die Hürde zu groß, das Angebot zu nutzen oder die Fahrzeuge werden nicht in der Sharing Zone platziert.“ Je nach Standort und Stadtgröße funktioniere ein stationsbasiertes oder hybrides System am besten, wobei in Zentren Rückgabestationen in einem Abstand von maximal 200 Metern erforderlich seien, um attraktiv zu bleiben. Free-Floating-Systeme eigneten sich hingegen eher für ländlichere Gebiete, besonders wenn Geofencing oder Incentivierungen genutzt würden, um Fahrzeuge effizienter zu verteilen.


In der digitalen Integration sieht sie ebenfalls Potenzial. „In meiner Wunschwelt nutzen alle das Swisspass-Login, sodass separate Registrierungen bei den Sharing-Anbietern entfallen. So könnten wir eine nahtlose Reisekette schaffen, in der Check-in/Check-out-Optionen für den gesamten Mobilitätsmix integriert sind.“ Eveline ist überzeugt, dass solche Lösungen den Zugang zu nachhaltiger Mobilität erheblich vereinfachen und die Akzeptanz bei den Nutzer*innen erhöhen können.

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