Antriebswende und Digitalisierung verändern die Automobilindustrie. Das betrifft Hersteller ebenso wie Zulieferer und den Handel. Eine E-Auto-Marke, die das traditionelle Konzept von Marketing und Vertrieb auf den Kopf stellt, ist Polestar. Wir haben mit Sabrina Lütkebohle über die Entwicklung der Marke gesprochen. Sie ist Commercial Training Manager DACH und Verantwortliche für Product, Pricing und New Model Launches Europe und Deutschland bei Polestar. Und war eine der ersten Mitarbeiterinnen in Deutschland.
Am 17. April hat der Polestar 4 in Köln seine Premiere gefeiert. Der Polestar 4 ist ein SUV Coupé der E-Automarke Polestar. In den nächsten zwei Jahren sollen zwei weitere Modelle auf den Markt kommen. Der Polestar 5, ein Sportwagen, soll Ende 24/Anfang 25 erscheinen. Das Modell Polestar 6, ein Roadster Cabriolet, wird 2026 erwartet. Das erste Modell des E-Auto-Herstellers, der Polestar 1, ist 2017/2018 erschienen. Seitdem wurde aus dem Elektro-Startup ein etablierter Hersteller mit einem Umsatz von 2,46 Milliarden US-Dollar. Eine derjenigen, die Polestar Deutschland mitaufgebaut haben, ist Sabrina Lütkebohle.
Polestar ist eine Marke gewachsen aus den Automobilherstellern Volvo Cars und Geely. Polestar stellt Elektroautos her und hat seinen Hauptsitz in Göteborg, Schweden. Polestars Wurzeln liegen im Rennsport, wo es als Polestar Racing und später als Cyan Racing agierte. Die Marke wird von Thomas Ingenlath geleitet, einem deutschen Autodesigner.
Sabrina wollte in sehr jungen Jahren eigentlich Journalistin werden und hat Medienwirtschaft und Journalismus studiert. Während ihres Studiums stellte sie fest, dass sie großen Spaß an Business Cases und Statistiken hat und sich deshalb im Master auf Produkt-, Marken und Portfolioführung spezialisiert. „Mein Traum war es, Produktmanagerin im Automobilsektor oder im medizinischen Bereich zu sein. Ich mag es, wenn das Produkt erklärungsbedürftig ist“, sagt sie. Eher zufällig sei sie nach dem Abschluss zu einem Praktikum bei Nissan gekommen. „Ich war die einzige Frau im Produktmanagement-Team für leichte Nutzfahrzeuge und habe dort den Spezialisten zugearbeitet. Dank des tollen Teams und der abwechslungsreichen Aufgaben, hab ich sofort gemerkt habe: Genau das will ich machen. Also habe ich nach dem Praktikum nach einem Job im Produktmanagement gesucht.“
Sie stieg als Projektkoordinatorin bei Volvo Car Germany ein. „Irgendwann hat mich eine Bekannte gefragt, ob ich Produktmanagerin bei StreetScooter werden möchte.“ Streetscooter war eine Ausgründung der Uni Aachen und gehörte damals der Deutschen Post. Als sie gut anderthalb Jahre dort gearbeitet hat, hat die Deutsche Post beschlossen, das Geschäft nicht weiterzuführen. Sabrina und viele andere Mitarbeitenden suchten sich Alternativen. Woraufhin sie im August 2020 bei der neu gegründeten Marke Polestar in Deutschland anfing. Sie war Mitarbeiterin Nummer 9 und fing als Competence Development Manager D-A-CH an. Kurz nach ihrem Start bei Polestar musste sie auf Grund der Corona-Pandemie im Homeoffice arbeiten. Ihre erste Mitarbeiterin lernte sie deshalb erst nach einigen Monaten persönlich kennen. Das digitale Arbeiten gehört seit dem bei Polestar dazu.
Damals saßen wir in einem ganz kleinen Büro in Rufweite. Wir waren ein ganz junges Team. Viele kamen nicht aus dem Automobilbereich, aber alle brachten die Leidenschaft mit, diese Marke aufzubauen und haben die Ärmel hochgekrempelt und gemacht, was es brauchte. Du wurdest zwar für Job A eingestellt, hast aber B, C und D mitgemacht, weil immer weitere Aufgaben anfielen. Damals waren wir auf jeden Fall ein Startup.
Sabrina Lütkebohle, Commercial Training Manager DACH bei Polestar
Was sie sehr genossen habe, war, dass es keine ausgetretenen Pfade gab, sondern das junge Team alles selbst gestaltenkonnte. „Das war wundervoll, aber auch sehr anstrengend. Wenn man alles neu erfinden muss, bringt das einen großen Workload mit sich“, erinnert sie sich. Prozesse, Abläufe, Systeme mussten erst definiert und so die Marke im Markt aufgebaut werden.
Seit 2020 hat sich bei der Marke viel getan. „Inzwischen sind wir über 50 Mitarbeitende und haben uns – im Vergleich zu damals – deutlich professionalisiert. Was Systeme angeht, was Abläufe und Reportings angeht, das war harte Arbeit“, erzählt sie. Polestar ist mittlerweile in 27 Märken vertreten. „Das Wort Startup benutzen viele noch bei uns im Unternehmen, ich würde uns aber als etabliertes Unternehmen sehen.“
Ich bin lokal im deutschen Markt unter anderem für das Thema Markt- und Wettbewerbsanalysen sowie Pricing zuständig. Wenn es heißt, dass im September ein neues Modell auf den Markt kommt, dann erstelle ich auf Basis von Markt- und Wettbewerbsanalysen und Business Cases Vorschläge, was das Fahrzeug in Deutschland kosten soll. Der Vorschlag wird intern mit der Geschäftsführung, Head of Sales und Head of Operations diskutiert, bevor Pricing und Volumen auf höherer Ebene eingereicht werden.
Sabrina Lütkebohle, Commercial Training Manager DACH bei Polestar
So wie das Unternehmen hat sich auch Sabrinas Rolle im Laufe der Zeit verändert. Zu Beginn lag ihr Fokus auf Commercial Training. Wichtig war, den Direktvertrieb der Marke zu lehren und zu etablieren. Denn die Polestar Repräsentanten sollen mehr tun, als potenziellen Kundinnen und Kunden Autos zu verkaufen. „Die Standorte sind keine Vertriebs-, sondern Beratungsstandorte. Man unterschreibt vor Ort keinen klassischen Kaufvertrag, sondern konfiguriert sich mit einem Berater sein Fahrzeug und bestellt es dann online - so einfach wie du online auch Schuhe kaufst“, sagt Sabrina.
Die Spaces, wie diese Standorte heißen, seien überall auf der Welt gleich aufgebaut. Sie erinnerten eher an Galerien, in denen zum Beispiel Felgen und Farbmuster ausgestellt seien, als an Autohäusern. Das Design stehe im Fokus.
„Natürlich erklären die Leute die Autos. Sie beraten dich dazu, welches Modell am besten zu deinem Mobilitätsbedürfnis passt. Die Autos können natürlich auch am Standort Probe gefahren werden. Es wird aber auch zu Ladekosten, Ladeinfrastruktur und Batterielebensdauer aufgeklärt“, sagt sie. Das sei wichtig, weil es auch heute noch viele Vorurteile gegenüber Elektromobilität gebe.
Elektroautos haben sich ebenso wie die Ladeinfrastruktur weiterentwickelt, die Reichweiten sind gestiegen. Aber die Gespräche, die ich mit Umsteigern führe, sind immer noch die gleichen. Es herrscht immer noch sehr viel Unwissenheit rund um E-Mobilität. Uns begegnen immer noch viele Stammtischparolen. Die Leute sind eher bereit, zuzuhören und es auch auszuprobieren, aber ich bemerke immer noch eine gewisse Skepsis.
Sabrina Lütkebohle, Commercial Training Manager DACH bei Polestar
Sabrina führe in Seminaren und auf Veranstaltungen immer noch die gleichen Gespräche wie vor drei Jahren: „Es ist zu teuer, die Reichweite ist zu gering, es gibt keine Ladeinfrastruktur und überhaupt: in meinem Alltag funktioniert das nicht und sind im Prinzip dagegen.“ Hier bestünde noch viel Aufklärungsbedarf, sagt sie.
Immerhin: Seit sie 2020 bei Polestar angefangen habe, habe sich die Bereitschaft, zuzuhören und Elektromobilität auch einmal auszuprobieren, gesteigert.
Angst vor der etablierteren Konkurrenz habe man keine. Auch nicht vor den großen E-Auto-Herstellern wie dem chinesischen Konzern BYD. „Wir betrachten grundsätzliche jede Automarke als Mitbewerber, egal ob BMW oder BYD.“, sagt sie. Auf die Frage, wie ein typischer Polestar Kunde aussähe, antwortet sie: Den typischen Polestar Kunden gebe es zwar nicht, aber grundsätzlich seien die Kundinnen und Kunden der Marke technikbegeisterte Menschen von Anfang 30 bis Anfang 70. Die Kundschaft lege Wert auf Technik, Nachhaltigkeit – und Design. Ein Thema, das Polestar vom Produkt über die Spaces bis zur Werbung in den Vordergrund stellt. Der CEO ist schließlich Designer.
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