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„Ich fahre gerne große Maschinen“

Lok- und Triebfahrzeugführer sind in Deutschland Mangelware. Triebfahrzeugführerinnen eine Seltenheit. Dabei eignet sich der Job besonders für Quereinsteiger:innen. Simone Renée Hafke fährt seit 2021 für National Express den RE 5 zwischen Koblenz und Wesel. Sie sagt: Seitdem sie Triebfahrzeugführerin sei, gehe sie richtig gerne zur Arbeit.

Die Bahnbranche wächst kontinuierlich. Mit Blick auf die Verkehrswende eigentlich eine gute Sache. Nur das Angebot an Fachkräften kommt nicht so recht hinterher. Schon heute werden Lokführer und Lokführerinnen händeringend gesucht; allein in Nordrhein-Westfalen fehlen bis zum Jahr 2025 mehr als 1200 Triebfahrzeugführer:innen.

Zwar steigt die Zahl der Lokführer:innen seit Jahren kontinuierlich an. Trotzdem kommen laut des gemeinnützigen Verkehrsbündnisses Allianz pro Schiene auf 100 offene Stellen immer noch nur 54 arbeitssuchende Lokführer. „Der Fachkräftemangel bleibt eine der größten Herausforderungen für den Ausbau des Schienenverkehrs in Deutschland“, sagt Dirk Flege, Geschäftsführer von Allianz pro Schiene. Die Verkehrsunternehmen reagieren, indem sie sich stärker an Quereinsteiger richten. Allein im Zeitraum zwischen 2014 und 2018 ist die Zahl der Weiterbildungen zum Triebfahrzeugführer um 250 Prozent gestiegen. Die Umschulungskosten übernehmen die Eisenbahnunternehmen.

So wie bei Simone Renée Hafke. Seit 2020 ist sie bei National Express angestellt. Ursprünglich hat Simone ein Studium als Kommunikationswirtin absolviert. Nach einiger Zeit habe sie jedoch gemerkt, dass der Job nichts für sie war. „Ich mag den Leuten kein A für ein B verkaufen, ich will nicht in einer Marketingabteilung arbeiten, ich mag dieses ganze Procedere nicht. Also habe ich noch mal Restaurantfachfrau gelernt“, erzählt sie. Sie wollte an Bord eins Kreuzfahrtschiffs in der Gastronomie arbeiten. „Dann wurde ich schwanger und es war nix mehr mit Kreuzfahrt.“

Nach vier Jahren Familienpause habe sie in einer kostenlosen Wochenzeitung eine ganzseitige Anzeige von National Express gesehen: Triebfahrzeugführer:innen gesucht.


„Ich hab mir gedacht: cool, Lokführer! und mir vorgestellt, wie das wäre. Ich mag eh große Maschinen. Ich kann auch Lastwagen fahren und bastele gerne an großen Sachen rum. Deshalb habe ich mir gesagt: Das ist doch cool – und mehr Geld als in der Gastro gibt’s auch. Da bewerbe ich mich“, erzählt sie. Sie bewarb sich - und noch am selben Tag klingelte bei ihr das Telefon. Sie wurde zu einer Vorstellungsrunde am kommenden Tag eingeladen.


Anforderungen für Triebfahrzeugführer:innen im Quereinstieg

Wer direkt nach der Schulzeit eine Ausbildung zum "Eisenbahner im Betriebsdienst" machen möchte, braucht dafür mindestens einen guten Hauptschulabschluss. In einer dreijährigen dualen Ausbildung lernen die Jugendlichen dann alles rund um den Personen- und Güterverkehr auf der Schiene, im Regional- und Fernverkehr sowie über Signal- und Weichenkunde. Mit 20 Jahren dürfen sie alleine auf den Führungsstand eines Zuges.

Wer wie Simone schon im Berufsleben steht und den Quereinstieg wagt, lernt in einer neun- bis elfmonatigen Umschulung die notwendige Theorie und Praxis. „Ich habe 2020 angefangen und ein Jahr gebraucht“, sagt Simone.

Jedes Eisenbahnverkehrsunternehmen hat hier seinen eignen definierten Ausbildungsplan mit festen Theorie- und Praxiszeiträumen. Im Rahmen der Theorie gibt es Simulator-Fahrten, anschließend eine vierzehntägige Fahrzeugausbildung, die auch den ersten "richtigen Fahrtag" beinhaltet. Sobald die Leute auf das Fahrzeug geschult sind, beginnen sie mit den so genannten Lernfahrten, bei denen ein erfahrener Kollege den angehenden Triebfahrzeugführer:innen über die Schulter schaut. "Ich fand das sehr spannend, dass ich als Fahrschüler mit Fahrgästen unterwegs war – und keiner im Zug wusste davon", sagt Simone. Sie habe die Fahrgäste aber auch schlecht per Durchsage informieren können.


Seit 2021 ist Simone fertig ausgebildet und gehört damit zu den 4,6 Prozent Frauen, die in Deutschland als Triebfahrzeugführerin arbeiten. Bei ihrem Arbeitgeber sind es sogar sieben Prozent, sagt sie. „Wir haben eine Mädelsgruppe, die NXen, da sind wir 18 Triebfahrzeugführerinnen. Und wir werden immer mehr. Immer wenn eine in die Gruppe kommt, heißt es: yeah, wieder eine Neue!“

 

Zahlen, Daten, Fakten

Ausbildungsvergütung für Eisenbahner im Betriebsdienst: zwischen 820 und 1.020 Euro, je nach Ausbildungsjahr und Tarifvertrag

Übernahmequote: 85,3 Prozent aller Auszubildenden werden vom Betrieb übernommen

Einstiegsgehalt nach der Ausbildung: etwa 3.000 Euro, je nach Tarifgebiet und Bundesland

Arbeitslosenquote:1,2 %


Kosten der beruflichen Umschulung: Für Quereinsteiger stellen z.T. die Jobcenter Bildungsgutscheine aus, zum Teil übernehmen die Verkehrsunternehmen die Kosten für die Umschulung


 

„Wer heute als junger oder auch als älterer Mensch einen dauerhaft sicheren Arbeitsplatz sucht, ist bei der Schiene genau richtig“, sagt Flege. „Lokführer können sich Arbeitsplatz und Arbeitgeber aussuchen.“


Arbeitszeiten und Vereinbarkeit von Beruf und Familie

Simone hat einen Sohn und arbeitet Vollzeit bei National Express. 38 Stunden in der Woche fährt sie den RXX der Linie RE 5 von Koblenz nach Wesel und wieder zurück. Eine Schicht dauert zwischen sechs und zehn Stunden und 45 Minuten - inklusive Pausen. „Das klingt jetzt ganz schön lang, aber länger als sechs Stunden am Stück darf ich gar nicht fahren und dass ein Lokführer länger als vier Stunden am Stück fährt, ist auch selten“, sagt sie. In der Regel arbeite sie vier Tage die Woche und habe dann drei Tage frei.

Ihre Arbeitszeiten seien jetzt - anders als in der Gastronomie – planbar und damit familienfreundlicher. „In der Gastro wirst du abends angerufen, da heißt es: komm vorbei. Jetzt haben wir sechs Wochen im Voraus die Schichtpläne.“ Bei National Express wird außerdem ab 2023 der sogenannte Jahresschichtplan eingeführt.

Ich mag Schichtarbeit. Ich bin kein Typ für 9 to 5, da würde ich blöd werden. Ich finde es geil, dienstags zuhause rumzugammeln, wenn alle arbeiten müssen. Und wenn ich morgens Frühschicht habe und um drei den Zug aus der Abstellung hole, lassen einen noch alle in Ruhe Kaffee trinken und um elf Uhr hab ich schon wieder Feierabend und kann den Tag genießen. Im Sommer ist das göttlich.

Simone Renée Hafke, Triebfahrzeugführerin bei National Express


Aktuell habe sie immer einen halben Monat Frühschicht und einen halben Monat Spätschicht. Für den Alltag mit Kind sei besonders die Frühschicht gut, sagt Simone. „Ich persönlich mag die Spätschichten gerne, weil ich dann bis zehn schlafe, Yoga und meinen Haushalt machen kann, gemütlich brunche und erst um vier Uhr arbeiten muss. Um ein oder zwei Uhr bin ich wieder zu Hause. So könnte ich immer arbeiten, aber dann sehe ich mein Kind so gut wie nie.“


Weiterbildungsmöglichkeiten

Direkt im Anschluss an die Ausbildung, aber auch nach einigen Jahren der Berufstätigkeit, können sich Triebfahrzeugführer:innen weiterqualifizieren. Zum Beispiel als Techniker:in Verkehrstechnik, Fachwirt:in für Güterverkehr und Logistik, Fachwirt:in für Personenverkehr und Mobilität oder zum Meister für Bahnverkehr.

Sie können sich auch für andere Triebfahrzeugtypen oder Strecken als ihre gewohnten weiterbilden. Um eine bestimmte Strecke fahren zu dürfen, brauchen sie nämlich nicht nur die Fahrerlaubnis, sondern auch die sogenannte Streckenkunde. „Wenn ich jetzt zum Beispiel auch den RE 1 fahren will, muss ich erst bei den Kollegen mitfahren und mir die Strecke angucken. Dabei machen die dann auf Gefahrenstellen aufmerksam und erzählen einem die wichtigen Dinge über die Strecke. Eine neue Strecke muss man jeweils eine bestimmte Anzahl nachts und tagsüber in Begleitung gefahren sein, bevor man für die Strecke freigegeben und eingesetzt werden kann“, erklärt sie. Wer sich auf einer Strecke nicht auskennt, darf nur 100 Stundenkilometer fahren, obwohl die meisten Nahverkehrszüge bis zu 160 km/h schnell fahren dürfen.

„Wir müssen auch einmal im Jahr eine Simulatorfahrt machen, wo wir alle wichtigen Sachen, die uns auf der Strecke passieren könnten, abarbeiten: Kuh auf dem Gleis, Oberleitung runtergekommen, am Bahnsteig vorbeigefahren, seltene Signale, Gefahrensituationen und solche Sachen. Wie bei Kapitänen auch wird hier unsere Reaktionsfähigkeit getestet.“

Simone Renée Hafke, Triebfahrzeugführerin bei National Express


Auch wenn Simone einen anderen Zug als den RXX fahren möchte, geht das nicht von heute auf morgen, weil Triebfahrzeuge unterschiedlicher Baureihen anders aufgebaut sind. Sie sagt: „Ich hab einen Triebfahrzeugführerschein, womit ich theoretisch alles fahren darf. Ich könnte auch eine Dampflok fahren. Dazu braucht man aber noch eine Baureihenausbildung für ein bestimmtes Zugmodell, damit man weiß: wo kann man was absperren, wo ist die Hauptluftleitung, die ganze Technik eben. Ich zum Beispiel habe die Baureihenausbildung für den Siemens Desiro HC, das sind die großen, schönen grauen Züge der Linie RE 5 und RE 1. Wenn ich jetzt den RE 7 fahren wollen würde, müsste ich nochmal diese Baureihe lernen.“


Pro & Contra

„Als Lokführer:in hast du das Steuer in der Hand und navigierst mit deinem verantwortungsvollen Job maßgeblich Richtung Verkehrswende. Dein Job gilt aus diesem Grund als krisensicher und wird in Zukunft für den Klimaschutz noch stärker denn je benötigt“ heißt es bei der Arbeitgeberinitiative des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen über den Job. Ein pünktliches und angemessenes Gehalt, vertrauenswürdiger und sinnstiftender Berufe und eigenständiges Arbeiten werden als weitere Benefits aufgelistet.

Geil an meinem Job ist, dass ich das erste Mal so richtig gerne arbeiten gehen. Egal ob nachts oder nachmittags um drei: ich gehe einfach hin und es macht mir Spaß. Ich fahre gerne große Maschinen, ich unterhalte die Fahrgäste gerne mit lustigen Ansagen. Es kommt mir auch so vor, als hätte ich noch nie den gleichen Ablauf in einer Schicht gehabt, es kommt immer irgendwas auf einen zu, womit man vorher nicht gerechnet hat.

Simone Renée Hafke, Triebfahrzeugführerin bei National Express


Für Simone sei die Toilettensituation im Zug das einzige, was sie an ihrem Job manchmal nervt. Wenn Simone während der Fahrt aufs Klo muss, muss sie den Fahrdienstleiter anrufen und sagen: „Ich muss auf Toilette“, sagt sie. „Danach muss ich in der Leitstelle anrufen und sagen: ich muss mal eben Pipi machen. Dann stellen die mir das Signal auf rot. Dann muss ich den Zug einbremsen und so fertig machen, dass den keiner einfach so weiterfahren kann und dann kann ich auf Toilette gehen.“

Sie vermeide das. „Wir haben ja auch Pausenräume, die sind funktional, gut ausgestattet und im Gegensatz zu den belebten Bahnhöfen eine Ruheoase. Wenn ich irgendwo eine Stunde Pause habe, geh ich halt dahin. Oder an der Endstation“, sagt sie. „Ich musste den Zug deshalb aber auch noch nie anhalten. Ich kann den manchmal so timen, dass ich zum Beispiel drei Minuten zu früh in Remagen bin. Da kann ich ganz easy noch aufs Klo gehen, bevor ich weiterfahren muss“, sagt sie und lacht.




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