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“Im letzten Jahr hatten wir rund 1000 Baustellen"

Unsere “Mobilmacher:in der Woche”, die Verkehrsplanerin Sandra Lischke, hat im vergangenen Jahr rund 1000 Baustellen rund um die Schieneninfrastruktur in der Metropolregion Rhein-Ruhr bewertet und koordiniert. Und es werden immer mehr.


Deutschland baut. Nicht nur auf der Straße, auch an der Schieneninfrastruktur wird ausgebaut, viel häufiger aber noch repariert. Wo Stellwerke erneuert, Gleise verlegt oder Oberleitungen ersetzt werden, kann kein Zug fahren. Damit die Fahrgäste trotzdem von A nach B kommen, gibt es Verkehrsplanerinnen wie Sandra Lischke vom Verkehrsverbund Rhein-Ruhr.


Sie hat an der TU Dortmund Raumplanung studiert und koordiniert und bewertet nun die eingereichten Ersatzkonzepte der betroffenen Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU), wenn baustellenbedingt irgendwo ein Zug ausfällt. Außerdem unterstützt sie die EVU bei der Kommunikation von umfangreicheren Baumaßnahmen. Diese sollen zukünftig durch ein NRW-weites Design noch einheitlicher kommuniziert werden, damit Fahrgäste Hinweise auf Baustellen auch als solche erkennen.

Und natürlich soll die Kommunikation möglichst einfach und leicht verständlich sein, damit sofort klar ist, welche Verbindungen betroffen sind, wo und wie oft der Ersatzbus fährt - und wie lange mit Einschränkungen zu rechnen ist.

Foto: VRR


Lischke arbeitet in einem kleinen Team. Neben der umfangreichen Baustellenplanung und – kommunikation, um die sie sich vor allem kümmert, unterstützt sie die anderen Kollegen auch in der regulären Angebotsplanung im VRR-Gebiet. Hier wird entschieden u.a., ob in einer Region Leistungen von Linien im Schienenpersonenverkehr (SPNV) ausgeweitet werden sollen oder zu bestimmten Tageszeiten die Taktungen verdichtet werden müssen.

Ein weiterer Bruchteil der Aufgaben beinhaltet unter anderem die Entwicklung von Zielnetzen für den SPNV - z.B. für 2040 - sowie Langfristkonzepte und die Beauftragung von Betriebsprogramm- und Machbarkeitsstudien.


Ich bin in einer Bahnerfamilie groß geworden. Bahn und Nahverkehr sind in meinem Leben immer irgendwie Thema gewesen. Sandra Lischke, Verkehrsplanerin beim VRR

Auf Lischkes Tisch landen sämtliche geplanten Baustellen. Das sind z.B.:

Investition: neue Stellwerke, Gleiserweiterungen und Gleisausbau für den Nah-, Fern- und Güterverkehr

Instandhaltung: Reparatur von maroden Brücken, alten Bahnübergängen, kaputte Gleisen

Schadensbeseitigung: Aufräumarbeiten nach Unwettern und Vandalismus

Sperrungen: Kampfmittelräumung nach Bombenfunden


Wenn die Deutsche Bahn, konkret: die DB Netz AG, baut, kündigt sie das den betroffenen EVU in der Regel rechtzeitig an. Insbesondere Großbaustellen mit mehrwöchigen Vollsperrungen oder Dauerbaustellen haben größere Auswirkungen auf den Schienenverkehr und dessen Fahrgäste.

Sandra Lischke übernimmt dann mit ihren Kollegen die Koordination der Akteur:innen. “Wenn fünf Linien ausfallen, müssen nicht fünf Einzellösungen gefunden werden. Dann sagen wir: fünf Linien fallen aus, das und das sind die Folgen - und dann helfen wir bei Bedarf, gute Lösungen für die Fahrgäste zu finden.”

So werden beispielsweise Ersatzverkehre gebündelt oder Baustellen in die Ferien gelegt, damit weniger Fahrgäste betroffen sind. Die EVU entlang der betroffenen Strecke sind oftmals miteinander vernetzt, aber “wir haben als Koordinierungsstelle den Blick von oben und können auch sagen: Ruft doch mal das Unternehmen x an und tut euch zusammen.”


Die Zahl der Baustellen steigt, die E-Mails stapeln sich

In den letzten Jahren kristallisierte sich durch die steigende Anzahl von Baustellen die zusätzliche Anforderung heraus, neben der Planung auch die Kommunikation der Ersatzmaßnahmen stärker in den Vordergrund zu stellen. Seit 2020 übernimmt Sandra Lischke diese Funktion. “Im letzten Jahr hatten wir rund 1000 Baustellen, um die wir uns kümmern mussten”, sagt sie. “Marode Brücken und Bahnübergänge sind der Klassiker, die machen einen Großteil aus. Aber wir merken auch, dass mehr in den Schienenverkehr investiert und das Netz ausgebaut wird. Wir nehmen wahr, dass in letzter Zeit zunehmend Gelder für Arbeiten am Netz bereitgestellt werden. Das kommt schlussendlich auch den Fahrgästen zugute.”

Bisher seien für den VRR-Raum für das Jahr 2022 bereits eine Vielzahl von Großbaustellen gemeldet worden, die länger als eine Woche andauern. “Da fallen immer auch welche weg oder es kommen neue dazu. So ganz genau lässt sich das nicht planen”, sagt sie. Geht irgendetwas kaputt, kommen kurzfristig Baustellen hinzu. “Bei allem, was ungeplant eintritt, wenn nach Unwettern Gleise weggeschwemmt sind, müssen wir uns schnell etwas überlegen. Die Leute müssen ja trotzdem zur Arbeit.”

Lischke und ihren Kollegen unterstützen ebenfalls den Kundendialog bei Beschwerden, zum Beispiel, wenn die Ersatzbusse nicht oder unzuverlässig fahren oder nicht auf ankommende Züge warten. Auch dann heißt es vermitteln.


Baustelle hin oder her: Fahrgäste müssen befördert werden

Jede Menge Arbeit für das kleine Team. Aber: “Ich möchte nicht auf der Seite der EVU sein, die haben wirklich ein enorm hohes Arbeitspensum ”, sagt sie. Denn die Verkehrsunternehmen haben einen Beförderungsauftrag - trotz Baustellen am Schienennetz.

Entsprechend schnell reagieren die EVU auf spontane Sperrungen durch Unwetter oder Bombenfunde und beauftragen selbstständig Dienstleister, die die Fahrgäste zu ihrem Ziel bringen. Notfalls mit Taxis.

“Die EVU melden das dann an die zuständigen Kolleg:innen bei uns im Haus. Oberleitungsschäden durch Unwetter auf der Strecke x, wir haben den Busnotdienst y eingesetzt, bis morgen läuft im Idealfall alles wieder normal”, so die Verkehrsplanerin. Dauern die Aufräumarbeiten dann doch länger, koordinieren und entwickeln wieder sie und ihre Kollegen gemeinsam mit den EVU mögliche Ersatzmaßnahmen.


Das ist nötig, um die EVU zu entlasten und bei Bedarf zwischen EVU und Kommunen zu vermitteln. Denn je mehr Baustellen es gibt, desto mehr Ersatzbusse sind nötig. In den Städten kann das zum Problem werden. In größeren Städten zum Beispiel haben schon die regulären Busse am Bahnhof keinen Platz. Kommen noch Ersatzbusse dazu, wird es richtig eng, erzählt Lischke. “Da hat die Stadt das Recht, die Ersatzbusse irgendwo hin zu verbannen, wo sie den Verkehr nicht stören. Das ist natürlich nicht Sinn der Sache”, sagt sie. “In einer Gebietskörperschaft zum Beispiel hatten wir nach einem Unwetter so viele Schäden und Baustellen, dass sich die Ersatzbusse gegenseitig und dem örtlichen Verkehrsunternehmen im Weg standen. In solchen Fällen müssen wir die beste Lösung für alle finden. In diesem Fall hat vor allem die Zusammenarbeit mit dem engagierten ansässigen Verkehrsunternehmen zu einer positiven Entwicklung der Situation beigetragen.”

Überhaupt sei die Zusammenarbeit mit den EVU und anderen Beteiligten immer konstruktiv, viele Dinge ließen sich unkompliziert auf dem kurzen Dienstweg klären. Das erleichtere die Arbeit enorm.

Von der Datenerfassung über den Kirchentag bis zum Parkraumkonzept

Dieses Zusammenbringen von unterschiedlichsten Parteien und das Vermitteln zwischen den Akteur:innen habe bereits in ihrem Studium eine große Rolle gespielt. “An der TU Dortmund ist Raumplanung kein reines ingenieurwissenschaftliches Fach, ein großer Fokus lag auf Projektarbeit. Ich habe das erst rückblickend erkannt, aber wir haben schon im Studium gelernt, wie man die verschiedenste Akteur:innen - von der Kommunalpolitik über die Verkehrsunternehmen bis zum Umweltbeauftragten an einen Tisch holt und Kompromisse findet. Das hilft mir heute sehr.”

Ihre Kolleg:innen beschreiben Sandra Lischke als erste Ansprechpartnerin, auf deren Zuverlässigkeit und Fachwissen sie immer bauen können. "Sie ist versiert, arbeitet präzise und schnell, kommuniziert klar die Ergebnisse und kann auch für Fachfremde – also unsere Fahrgäste – Sachverhalte verständlich aufbereiten, wodurch Sandra unser Sprachrohr im Bereich der Baustellenkommunikation geworden ist", sagt einer ihrer Kollegen aus der Qualitätssicherung.


Ihr Weg in den Job sei dagegen gar nicht immer so klar gewesen, erzählt Lischke. Mitten im Studium, im Alter von 22 Jahren, wurde sie schwanger. Sie war alleinerziehend, ihre Familie lebte in Berlin, sie in Dortmund. “Deshalb hat mein Studium natürlich länger gedauert als bei anderen und vor allem musste jetzt Geld reinkommen.”

Also fing sie neben dem Studium als studentische, dann wissenschaftliche Hilfskraft am Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung in Dortmund an und kümmerte sich unter anderem um Evaluationen und Datenerfassung. “Während meiner Arbeit dort habe ich aber auch gemerkt, dass das rein wissenschaftliche Arbeiten nicht meins ist, ich brauche das Praktische, ich muss Ergebnisse sehen.”

Ich habe kein Auto und war schon immer SPNV affin, das Thema Verkehrsplanung lag nahe.

Sandra Lischke, Verkehrsplanerin







Nach dem Studium hat sie sich auf die Stelle als Projektmitarbeiterin Mobilität beim 37. Deutscher Evangelischer Kirchentag in Dortmund beworben - und sie auch bekommen. Nach fünf Jahren Arbeit im wissenschaftlichen Bereich war sie nun alleine für die Erstellung des Verkehrskonzeptes, die Koordination des ÖPNV und SPNV-Angebotes, Sperrungen und Umleitungen sowie die dazugehörige Kommunikation zuständig. Sie sei ins kalte Wasser geworfen worden. “Das Pensum war enorm, der Druck sehr hoch.”

Der Job habe ihr trotzdem großen Spaß gemacht; für sie sei aber auch klar gewesen, dass ihre Aufgabe mit dem Kirchentag in Dortmund endet. Danach zieht das Team weiter in die nächste Stadt, in der die Veranstaltung stattfindet. “Mein Lebensmittelpunkt ist hier in Dortmund. Ich kann mit Kind nicht alle zwei Jahre umziehen.”


Schon damals habe sie Kontakt zum VRR gehabt, der zukünftig eine Stelle für die Angebots- und Baustellenplanung schaffen wollte. “Ich konnte nicht warten, bis die Position ausgeschrieben ist. Ich hab ein Kind zu Hause, ich musste Geld verdienen.” Also wechselte sie von der Mobilitätsplanung für den Kirchentag ins Referat Verkehr der Stadt Gelsenkirchen, wo sie unter anderem für die Betreuung des Parkraumkonzepts zuständig war. Wieder ein für sie ganz neues Thema, in das sie sich schnell einarbeiten musste. “Das war spannend - ich hab ja nicht mal ein Auto”, sagt sie und lacht.


Man muss sich auch mal Sachen zutrauen, die man noch nicht kann - oder die so scheinen, als könne man sie nicht.

Sandra Lischke, Verkehrsplanerin


Sie habe u.a. entscheiden müssen, wo Parkflächen entstehen, wo sie wegfallen und wo Ladesäulen aufgestellt werden. “Man schaut von oben auf die Stadt und versucht, die besten Lösungen für alle zu finden.” Der Job habe großen Spaß gemacht, doch sie sei pro Tag rund drei Stunden gependelt. “Mir war klar, dass ich das wegen meines Sohnes nicht ewig machen kann.”

Dann weckte die Stellenausschreibung vom VRR ihr Interesse und sie versuchte ihr Glück. “Ich habe mitten in der Corona-Pandemie angefangen, meinen Laptop geholt und musste direkt loslegen.”

In ihrem Berufsleben sei es dritte Mal, dass sie eine Stelle in einem für sie ganz neuen Bereich angetreten habe und ins kalte Wasser gesprungen sei.


Ihre vorherigen Stationen helfen ihr dabei, die neue Herausforderung zu meistern: “Die Arbeit für den Individualverkehr in der Stadt hat mich unglaublich viel gelehrt. Die Kombination mit dem wissenschaftlichen Arbeiten und der Projektarbeit, die ich vorher gemacht habe, haben mich dahin gebracht, wo ich jetzt bin. Und da bin ich sehr glücklich.”






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