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„In der Mobilitätsbranche sind viele Quereinsteiger, das bringt große Verbesserungschancen“

Unsere Mobilmacherin der Woche ist studierte Bankbetriebswirtin und Master of Business Administration und war u.a. Führungskraft im Finanzbereich. 90 Stunden Woche inklusive. Heute leitet Nora Wolters die Verkehrsbetriebe Hamburg-Holstein GmbH und steuert regelmäßig einen der VHH-Busse durch Hamburg.

Quelle VHH/www.pepelange.de


Seit dem Fahrplanwechsel 2021/2022 ist unsere Mobilmacherin der Woche regelmäßig als Busfahrerin für die Verkehrsbetriebe Hamburg-Holstein GmbH (VHH) unterwegs. Meistens einmal monatlich am Wochenende und im Rahmen von regelmäßigen morgendlichen Verstärkerschichten auch wochentags.

Führerschein-Neulinge wie Nora Wolters bekommen die ersten sechs Wochen einen Lehrfahrer oder eine Lehrfahrerin an die Seite gestellt. „Es gibt ja deutlich mehr zu lernen als nur den Bus zu fahren. Strecken- und Tarifkunde sind zum Beispiel meine großen Herausforderungen“, so Nora. „Ich hoffe jedes Mal: bitte keine seltenen Tickets, die ich nicht kenne und nicht weiß, wie ich das ausdrucken soll. Bitte keine fünf Ringe, lieber ein Schülerticket oder eine Einzelfahrt“, sagt sie und lacht. Weil sie nicht aus Hamburg kommt, fährt sie neue Strecken manchmal am Tag vorher ab, damit auch alles klappt.

Nora macht das Bus fahren Spaß, auch wenn manche Strecken immer wieder eine große Herausforderung seien. Wenn sie zum Beispiel donnerstags den Schülerverkehr fahre, komme sie ganz schön ins Schwitzen. „Wir haben hier zwei Gymnasien, die im sog. Villenviertel liegen. Und das Villenviertel ist sehr eng. Da sind Bäume direkt an der Straße, parkende Autos, Randsteine, Mülltonnen. So ein Bus ist gut 2,50 Meter breit – plus Außenspiegel. Dann kommen einem die Elterntaxis entgegen und - donnerstags ist leider immer Tag der Müllabfuhr – das Müllauto. Zu einem Gymnasium muss ich mit dem Gelenkbus durch, der hat 18,75 Meter. Das ist verdammt lang. Ich bin nach der Tour oft schweißnass.“ Wenn alle Schüler heil in der Schule sind und auch der Bus ohne Kratzer wieder im Betriebshof steht, fängt für sie ihre eigentliche Arbeit an. Unsere Mobilmacherin Nora Wolters ist nämlich Geschäftsführerin der VHH.

Ich fand die Themen einfach spannend. Mit der Verkehrsbranche hatte ich mich vorher nie beschäftigt, obwohl mein Vater 40 Jahre lang bei der Bahn gearbeitet hat und Eisenbahner durch und durch ist. Aber für mich war das nie ein Thema und ich habe auch gar nicht gewusst, welche beruflichen Möglichkeiten es in der Branche gibt.

Nora Wolters, Geschäftsführerin der Verkehrsbetriebe Hamburg-Holstein GmbH


Seit November 2019 verantwortet sie den kaufmännischen Bereich der Verkehrsbetriebe Hamburg-Holstein GmbH.


Dass Nora für ihr Unternehmen nicht nur im Chefsessel sondern auch hinter dem Lenkrad sitzt, hat mit ihrem beruflichen Background zu tun: Sie hat eine Ausbildung zu Bankkauffrau gemacht, Im Anschluss studierte sie nebenbei an der Bankakademie, der heutigen Frankfurt School of Finance. Später übernahm Nora verantwortungsvolle Positionen bei der Commerzbank und SAG. 90 Stunden-Wochen waren oft Realität.

„Ich kenne das Bankgeschäft von der Pike auf. Im Verkehrsunternehmen musste ich mir anhören, was vermeintlich geht und was nicht, da mir bestimmte Erfahrungen dazu noch fehlten“, erzählt sie. Um besser zu verstehen, worüber ihre Mitarbeitenden sprechen und was im Unternehmen passiert, habe sie sich entschlossen, den Busführerschein zu machen.


„Ich wollte nicht mehr in der Bankenbranche arbeiten.“

Sie sei zufällig in der Mobilitätsbranche gelandet, erzählt sie. „Ich bin in verschiedenen Bereichen von Finance unterwegs gewesen und dort nach einigen sehr verantwortungsvollen Jahren bewusst in die dritte Reihe zurückgegangen, weil ich nebenbei ein zweites Studium machen wollte.“ Bei der Volksbank fand sie eine Stelle, die es ihr ermöglichte, nebenberuflich den MBA zu machen.

„Ich wollte wieder ins Management zurück, aber ich wollte nicht mehr in der veränderten Bankenbranche arbeiten. Das lag an Themen, die meine Werte nicht wiedergespiegelt haben und wo ich gesagt habe: so möchte ich nicht arbeiten.“

Nora Wolters, Geschäftsführerin der Verkehrsbetriebe Hamburg-Holstein GmbH


Während des MBA-Studiums habe sie viele Angebote für kaufmännische Führungspositionen bekommen, unter anderem auch von der Harzer Verkehrsbetriebe GmbH (HVB) in Wernigerode. „Ich hatte zu der Branche überhaupt keine Berührungspunkte und bin völlig unbedarft zu diesem Gespräch gefahren“, erzählt Nora. Dann wurde sie zu einem weiteren Gespräch eingeladen. „Und irgendwann kam der Anruf, dass der Aufsichtsrat zugestimmt habe und ich zum 1.7.2017 anfangen könnte. Und so bin ich im Bereich Verkehr gelandet.“


Die Herausforderungen, die mit dem neuen Job verbunden waren, fand sie sehr spannend: Personalmangel beim Fahrpersonal, IT-Themen, rechtliche Vorgaben im Rahmen einer Direktvergabe. „Einiges hatte man mir im Vorstellungsgespräch so nicht gesagt“, erzählt Nora. „Nach anderthalb Jahren hat uns der Geschäftsführer über Nacht verlassen, weshalb man mich gebeten habe, seine Rolle zu übernehmen.“ Um sich erst ein eigenes Bild zu machen, nahm sie die Rolle interimsweise an – und dachte über den Busführerschein nach.

In der Mobilitätsbranche sind so viele Quereinsteiger, das bringt so wertvolle Impulse an den verschiedensten Stellen. Das birgt große Verbesserungschancen.

Nora Wolters, Geschäftsführerin der Verkehrsbetriebe Hamburg-Holstein GmbH


Statt des Führerscheins machte sie jedoch erst einmal den Verkehrsleiterschein, den es braucht, um einen Verkehrsbetrieb zu führen. Den entsprechenden Vorbereitungskurs absolvierte sie im Hamburg.


Während sie dort war, bekam sie einen Anruf, ob sie Interesse an der kaufmännischen Geschäftsführung eines großen Verkehrsbetriebes habe. Sie lehnte ab. „Ich wollte eigentlich meinen Vertrag in einem Fünfjahresvertrag verlängern und war auch gar nicht auf einen Wechsel eingestellt“, sagt Nora. Auch auf einen neuerlichen Umzug mit der Familie hatte sie keine Lust. Ihr Partner ermunterte sie, zumindest ein Gespräch zu führen - und auch die VHH blieb hartnäckig.

Weil sie ohnehin in Hamburg war, stimmte Nora dem Gespräch zu und war begeistert. „Die Vielfalt, die Aufgaben, die Größe, die Herausforderungen – das klang alles gut. Und was für mich auch ein wichtiger Punkt war, dass ich bei der VHH nicht alleinige Geschäftsführerin sein sollte wie bei den Harzer Verkehrsbetrieben.“

Bei der VHH bildet sie zusammen mit Toralf Müller, der die technischen und betrieblichen Bereiche verantwortet, die Doppelspitze des Verkehrsunternehmens. Natürlich sei es schön gewesen, alleine entscheiden zu können, aber gerade im Urlaubs- oder Krankheitsfall sei es gut, wenn noch jemand mit den gleichen Befugnissen im Unternehmen sei. Sie sagt: „Es gibt häufig Situationen, in denen man einen Sparringspartner braucht. Wenn es dann niemanden auf gleicher Ebene gibt, ist das manchmal schwierig.“


Gesucht: eine Gleichstellungsbeauftragte in Vollzeit

Bei der VHH ist sie für die Bereiche Finanzen & Controlling, Marketing, Personal, IT, Revision, Recht, Einkauf, Schaden, Kundendialog zuständig. Der Bereich Digitalisierung wird gemeinsam geleitet. „Finanzen sind das A und O einer GmbH, aber ein Verkehrsbetrieb ist ein Dienstleister und da ist das Thema Personal unglaublich wichtig. Nicht nur die Arbeitgebermarke oder der Fachkräftemangel, sondern vor allem auch Diversity“, zählt sie auf. „Wir haben über 60 Nationen im Unternehmen, darauf sind wir sehr stolz, aber das bringt auch verschiedene Herausforderungen mit sich.“

2010 hat die VHH die Charta der Vielfalt unterschrieben, seitdem veranstaltet das Unternehmen jedes Jahr unterschiedliche Events rund um das Thema Vielfalt: von einem Besuch von Olivia Jones über Schulungen für Azubis bis zu gemeinsamen Feiern. „Uns ist der offene Umgang mit diesen Themen einfach wichtig.“



Mit Nora Wolters steht erstmals in der mehr als 100-jährigen Geschichte eine Frau an der Spitze der VHH. Ziel des Unternehmens ist es, dass die Belegschaft zu 50 Prozent aus Frauen besteht. 2018 habe die VHH deshalb erstmals einen Gleichstellungsplan erstellt; 2021 sei das Konzept „Frauen im Fahrdienst“ erstellt worden, um mehr Busfahrerinnen zu gewinnen beziehungsweise auszubilden.

„Wir suchen gerade händeringend eine Gleichstellungsbeauftragte, die wir in Vollzeit einstellen können“, sagt Nora. Aktuell übernehmen die Aufgaben zwei Führungskräfte neben dem eigentlichen Job. Sie haben beispielsweise die Idee formuliert, in der Nähe der Betriebshöfe Kooperationen mit Kitas einzugehen, damit Eltern, die bei der VHH arbeiten, Job und Kinderbetreuung besser vereinen können. Für die Umsetzung der Idee brauche es jedoch eine hauptamtliche Kraft. „Meine Vorstellung ist eine flexible Kinderbetreuung, die von 6 bis 20 Uhr geht, damit es nicht schlimm ist, wenn Mama oder Papa mit dem Bus im Stau stehen. Auch eine Notfallbetreuung ist sinnvoll.“

Um das konsequent umzusetzen, müsse man es strukturiert machen. Das gehe nicht ohne eine Gleichstellungsbeauftragte, die sich Vollzeit um solche Themen kümmert. Die richtige Person mit einem Verständnis von Gleichstellung und ÖPNV zu finden, sei nicht leicht.

„Man muss verstehen, was die VHH macht und wie ein Verkehrsbetrieb funktioniert.“ Alleinerziehende im Fahrdienst beispielsweise haben keinen Rechtsanspruch auf familienfreundliche Schichten. Man versuche zwar, den Eltern möglichst entgegen zu kommen, und mache vieles möglich, aber einen Rechtsanspruch auf bestimmte Schichten gebe es auch für Alleinerziehende nicht. Und wer in der Werkstatt sei, habe andere Arbeitsbedingungen als in der Verwaltung. „Wir haben viele Gespräche mit Bewerbenden geführt, die einen sehr starken Verwaltungsbezug haben. Die Mehrzahl unserer Mitarbeitenden ist aber im Fahrdienst tätig.“

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