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Spontan irgendwohin zu fahren, ist mit Behinderung fast unmöglich

Für Menschen mit einer Behinderung gibt es verschiedene Fördertöpfe, die die Teilhabe am sozialen Leben (mit-)finanzieren sollen. Dazu gehört selbstverständlich auch Mobilität. Wer jedoch nicht (mehr) arbeitet, für den wird es schwierig, diese Förderungen zu erhalten. Unabhängig davon ist spontane Mobilität für Menschen mit Unterstützungsbedarf so gut wie unmöglich.



Menschen mit einer Behinderung müssen gemäß der Europäischen Behindertenrechtskonvention

anderen Menschen ohne körperliche Einschränkungen gleichgestellt sein: in ihren beruflichen Möglichkeiten, bei der sozialen Teilhabe und natürlich bei der Mobilität.

Von öffentlicher Stelle und den Verkehrsunternehmen gibt es deshalb viele Angebote. Die jedoch nicht immer und für alle funktionieren.


Kostenloser ÖPNV für Menschen mit (schwerer) Behinderung

Menschen, die zum Beispiel gehörlos, sehbehindert oder in ihrer Bewegungsfähigkeit stark eingeschränkt sind, dürfen kostenlos den ÖPNV nutzen. Wenn jemand auf eine Begleitperson angewiesen ist, darf auch die kostenlos mitfahren. Das gilt auch im Fernverkehr der Deutschen Bahn.

Laut dem Netzwerk „Allianz pro Schiene“ waren 2019 aber erst knapp 80 Prozent der Bahnhöfe in Deutschland barrierefrei. Auch Bushaltestellen sind längst nicht immer für jeden gut zu erreichen. Hinzu kommt, dass der Nahverkehr nicht überall gut ausgebaut ist. „In Berlin zum Beispiel sieht es mit den Öffentlichen nochmal ganz anders aus als hier auf dem platten Land. Wenn ich hier morgens vor sieben oder abends nach 20 Uhr einen Bus bräuchte, hätte ich Pech “, sagt Mirko Heymel. Er lebt in einem Ort mit rund 3700 Einwohnern und ist wegen einer Muskeldystrophie seit rund 20 Jahren auf einen Rollstuhl angewiesen. Heymel hat Pflegegrad vier.

 

Mobilitätsservice an Bahnhöfen

An vielen S-Bahn- und U-Bahnhöfen in Großstädten gibt es Notknöpfe, falls der Aufzug nicht funktionieren sollte. Zumindest tagsüber helfen dann Mitarbeitende der S-Bahn oder U-Bahn-Wache Rollstuhlfahrer*innen oder Personen mit Rollatoren. Bei der Deutschen Bahn und an Bahnhöfen in Berlin gibt es außerdem einen kostenlosen Mobilitäts- bzw. Begleitservice, der mobilitätseingeschränkten Fahrgästen z.B. beim Umsteigen hilft.

Allerdings nur von 07 bis 22 Uhr – und nur, wenn der Dienst mindestens einen Tag vorher bestellt wurde.

 

Barrierefreie Busse

Die meisten Busse sind mittlerweile barrierefrei: sie sind absenkbar und haben manuell ausfahrbare oder elektronische Rampen, sagen die Haltestellen akustisch und optisch an.

Im hessischen Großen-Buseck, wo Heymel mit seiner Lebensgefährtin wohnt, gibt es zwei Bushaltestellen. Beide sind jeweils rund vier Kilometer von seiner Wohnung entfernt. Für ihn ist das zu weit weg, um selbstständig zur Bushaltestelle zu gelangen.

Als er mit 19 seine Ausbildung zum Bürokaufmann im thüringischen Zella-Mehlis absolvierte, bezuschusste ihm das Arbeitsamt einen PKW mit 18.000 DM - weil es vor Ort gar keine behindertengerechten Busse gab.

 

Behindertengerechte Privatfahrzeuge Wer ein Auto besitzt, kann das behindertengerecht umrüsten lassen. Firmen wie die Heidelberger Paravan GmbH sind auf Umbauten spezialisiert, die es auch Menschen wie Mirko Heymel ermöglichen, selbstständig Auto zu fahren. Für die Anschaffungen des Fahrzeugs wie auch den behindertengerechten Umbau gibt es Zuschüsse von verschiedenen Kostenträgern, wie dem Arbeits- oder dem Sozialamt.

"Wenn du noch im Arbeitsleben stehst, bekommst du alle möglichen Hilfen bezahlt. Wenn du aber wie ich nicht mehr arbeiten kannst, sieht die Sache ganz anders aus“, sagt Heymel. Es sei denn, die Person ist wegen eines Ehrenamtes darauf angewiesen, mobil zu sein. Beim Vorsitzenden des Vereins "Mobil mit Behinderung" und der „Stiftung für Inklusion durch Mobilität“, Heinrich Buschmann, ist das beispielsweise der Fall. Weil er Vereinsmitglieder vor Ort betreuen und beraten sowie Sitzungen leiten muss, hat er einen Anspruch auf die Bezuschussung eines behindertengerechten Fahrzeugumbaus.

Heymel müsste die Kosten für Anschaffung und Umbau selber tragen. Das Problem:

Der Vermögensfreibetrag für Menschen, die wegen einer Behinderung finanzielle Hilfen zur Pflege und/oder Eingliederungshilfe erhalten, liegt bei 50.000 Euro. Allein der Umbau, den Heymel benötigt, kostet aber rund 75.000 Euro.

 
Es gibt viele Dinge, die man auch als behinderter, nicht mehr arbeitender Mensch bekommen kann: Die muss man sich allerdings erstreiten. Und das ist sehr aufwendig, sehr langwierig und ohne einen Anwalt so gut wie aussichtslos.

Mirko Heymel


 

Fahrdienste

Auch Menschen, für die der ÖPNV und das eigene Auto keine Alternative sind, bekommen in Deutschland eine Mobilitätsoption angeboten. In der Regel geschieht das durch Behindertenfahrdienste, für die die Krankenkassen oder das Sozial- bzw. Arbeitsamt Gutscheine ausstellen. Diese Gutscheine – vier pro Monat – können Menschen wie Heymel bei Taxiunternehmen vor Ort einreichen, die die Fahrtkosten z.B. mit der Krankenkasse abrechnen. Der Verein Mobil mit Behinderung beklagt jedoch, dass Fahrdienste oft eine gewisse Vorlaufzeit haben und längst nicht jedes Taxi Rollstuhlfahrer mitnimmt.


Liste des Vereins Mobil mit Behinderung der bundesweiten Anbieter von Rollitaxis und Fahrdiensten.

Auch Heymel sagt: „In der Theorie ist es möglich zu sagen: Ich möchte nächsten Freitag mit meiner Lebensgefährtin eine Pizza im Nachbarort essen gehen und brauche dafür einen Mobilitätsgutschein. Aber längerfristig planen wäre besser. Alles was kurzfristig ist, teuer oder weiter entfernt, ist blöd.“

 

Soziale Teilhabe jenseits der Alltagsmobilität

Weil Deutschland die Europäische Behindertenrechtskonvention unterzeichnet hat, sollen Menschen mit einer Behinderung – auch wenn sie nicht mehr arbeiten gehen können - am sozialen Leben teilhaben können. In der Praxis ist das schwierig.

„Ich könnte mich theoretisch einmal im Monat ins Kino fahren lassen oder auch zu meinem Vater nach Thüringen“, bestätigt Heymel. „Wenn ich jetzt aber beschließe, dass ich mit meiner Lebensgefährtin das Musical "König der Löwen" gucken möchte, muss ich erst einmal ein Taxiunternehmen finden, das bereit ist, mich mit dem Rollstuhl von Hessen nach Hamburg zu bringen und auch wieder abzuholen.“

Für derartige Wünsche gibt es die EUTB, die Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung, die betroffene Personen über die individuellen Möglichkeiten informiert.



„Mit denen kannst du dich darüber unterhalten, was dein Teilhabebedarf ist, der über einkaufen, Arzt- oder Familienbesuche - also die Dinge, für die es Mobilitätsgutscheine gibt - hinausgeht: Ich könnte also sagen, dass ich ein Konzert besuchen möchte. Dass ich ins Theater will, Essen gehen, auf Wacken die Sau rauslassen oder einen Städtetrip machen.“

So einen Spaß-Ausflug - zum Essen, zum Einkaufen oder ins Kino - leistet er sich maximal einmal im Jahr. Der Aufwand ist zu groß. Heymel hat seine Wohnung – von einem Zahnarztbesuch abgesehen – zuletzt vor rund zweieinhalb, drei Jahren verlassen. Für einen Einkaufsbummel und um die Hochzeit eines Freundes zu besuchen.

 

Behindertengerechten Toiletten

„Vom ÖPNV und Auto fahren ganz abgesehen habe ich im öffentlichen Raum noch das zusätzliche Problem, das ich nicht weiß, wohin ich gehen kann, wenn ich auf Toilette muss“, sagt Heymel. Hier helfen Apps wie HandicapX.com, die den Standort und ggf. automatische Türen oder Notrufknöpfe von behindertengerechten Toiletten in Restaurants oder an öffentlichen Plätzen anzeigen. Ähnliche Funktionen bietet auch die App Wheelmate.


Viele behindertengerechte Toiletten in der Öffentlichkeit sind mit einer europaweit einheitlichen Schließanlage ausgestattet. Die Schlüssel dazu, die sogenannten EURO-Schlüssel, können Menschen mit einer Behinderung für circa 20 Euro beim Club Behinderter und ihrer Freunde (CBF) Darmstadt bestellen. Der Schlüssel passt auf rund 12.000 öffentliche Toiletten in Europa.


„Dass ich nicht alles machen kann, ist mir auch klar. Aber ich hätte gerne die Freiheit, irgendwas zu machen, dass über einen Arztbesuch hinausgeht.“

Mirko Heymel

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